May 19, 2010

Nur für den Fall, ihr habt mal etwas Zeit in einem Kiosk eurer Wahl einen Blick in dieses verstaubte Pseudo-Alternativen-Heftchen 'Neon' zu werfen: es gibt da 'nen Artikel einer Ex-Vegetarierin, die ihren 'Rückfall' auf unerklärlichste Art und Weise zu rechtfertigen versucht - und natürlich kläglich scheitert.
Folgende Antwort einer wirklich zurecht angepissten Leserin liest sich prima und trifft den Punkt, mehrmals. Multipel. Yeah.


"LightYagami
RE: Blut für die Welt

"Blut für die Welt" - so lautet der paradoxe Titel jener NEON-Redakteurin, welche - bar jeder Ironie - auch noch den Namen Bäulerlein trägt. Doch was will mir der Artikel mitteilen? Der Artikel richtet sich an einen Aggressor, von welchem ich vorher gar nicht wusste, dass es sich hier um einen Aggressor handeln könnte - an die Vegetarier und ihre Freunde. Jene Gruppierung, dessen Sympathisanten sich international - und insbesondere in Deutschland - in den letzten Jahren rasant vermehrt haben; in Folge der "Bio-Revolution" in den Supermärkten - und der bevorstehenden Klimakatastrophe. Hunderte Millionen Zuchttiere pumpen jährlich ihre Abgase in solchen Mengen in die Umwelt, dass hier keine Vekehrsinfastruktur der Welt mithalten kann.

Das Interessante an dieser ominösen Anklage, die ihren Anklagepunkt gar nicht erst verrät, ist die Klägerin - selbst einmal Vegetarierin, wie sie verrät, aber das gewählte Präteritum verrät auch, dass diese Lebenseinstellung deutlich in der Vergangenheit liegt; was sich der Leser dabei selbst erdenken muss: Den Grund für diesen erneuten Wechsel in der Ernährungsweise. Schwach geworden, in den Beweggründen nicht gefestigt? Es wird nicht deutlich, klar ist aber: Als ehemalige Vegetarierin wird sie von einem schlechten Gewissen geplagt; bei jedem saftigen Steak (das sie scheinbar sehr gerne mag, aber dazu später) erinnert sie sich, dass Tieretöten eigentlich doof ist.

Dieses schlechte Gewissen versucht sie nun mittels scheinbaren Sachargumenten unter den Teppich zu kehren. Dass sie dabei Tausenden von Omnivoren, die diesen Artikel lesen, einen Freipass für ihr eigenes Gewissen erteilt - und das progressive Bild der Zeitschrift, in der dieser Artikel publiziert wird, völlig zerstört wird, ist ihr dabei egal. Ein Ausflug in die verzehrte Tatsachenwelt von Frau Bäuerlein.

Ganz zu Beginn muss ich mir bereits anhören, dass ich und sechs Millionen andere Deutsche "verwirrt" seien - weshalb? Ich weiß es nicht. Aber so was lese ich gerne, dafür bezahle ich mein Geld. Ich verfolge den Artikel weiter, auf der Suche nach der Erläuterung. Stattdessen: Eine Aufzählung der Totschlagargumente, welche wir Veggies jedes Mal hervorbringen müssen, um uns vor den Allesfressern zu rechtfertigen. Weshalb es eigentlich wir sind, die uns immer rechtfertigen müssen, frage ich mich an dieser Stelle. Aber da die Autorin diese Argumente ja scheinbar kennt, erwarte ich eine Rechtfertigung von ihrer Seite. Ich lese also weiter.

Irgendeine andere Autorin wird zitiert, ich kenne sie nicht. Nur weiß ich, dass ich jetzt nicht nur "verwirrt", sondern auch "uninformiert" bin. Nungut. Warum soll ich nochmal Tiere töten? Achja, der Artikel ist mir die Antwort noch immer schuldig.

Es sei ein Mythos, dass Fleischessen ungesund ist. Das darf irgendein Schweizer Forscher sagen, der scheinbar ganz viel Autorität genießt. Dass ich erst vor einigen Wochen noch in der Süddeutschen lesen durfte, dass rotes Fleisch die Lebenszeit kürzt; dass die Bewohner der "Blue Zones", in denen die Menschen im Vergleich zu ihrem Landesstandard viele, viele Jahre länger leben, allesamt auf Fleisch verzichten; dass das Gift im Fleisch meine Aterien verstopft und ein Herzversagen auslöst - von all diesen Dingen lese ich hier nichts. Nur von irgendeinem Schweizer Forscher, der irgendetwas von veralteten Vorstellungen sagt. Bisher war ich immer in dem Glauben, veraltet sei die Vorstellung, der Mensch sei ein "Allesfresser" und die Tiere für des Menschens Magen geschaffen worden - das wird hier dann aber auch noch schnell behauptet, um die Veggie-Argumente zu entkräften. Dieses argumentum ad absurdum braucht dann nicht einmal eine Autoriät, die zitiert wird - der Mensch ist Allesfresser, weil er Allesfresser ist, steht hier in dem Artikel - vielen Dank für diese fundamentale Erkenntnis! Die Autorin bewegt sich im Kreis.

Dass das "Auskippen" des Sojas über Entwicklungsländer statt dem Verfüttern an Tiere sinnlos sei, lese ich darauf hin. Dass das Viehfutter aber gar nicht unbedingt hierzulande angebaut wird, sondern erst von uns in Entwicklungsländern gekauft wird, scheint der Autorin an dieser Stelle noch nicht bewusst zu sein - das erwähnt sie erst auf der nächsten Seite, auf der es ihr besser in den Kram passt. Aber nun, sie hat ja angeblich die Autoritäten auf ihrer Seite: Keine Organisation, die etwas zu sagen hat, sei anderer Meinung. Beim Lesen fällt mir die Albert-Schweitzer-St iftung ein; aber die scheint in ihrer Kompetenz nicht gegen Frau Bäuerlein anzukommen.

Dann müssten Vegetarier Sojaburger essen. Nun, den Eiweißhaushalt kann ich auch anders hochhalten. Scheinbar war es eher Frau Bäulerleins Omnivoreninstinkt, der sie dazu gezwungen hat, irgendwelche irrsinnigen Fleischimitate zu sich zu nehmen. Aber nun gut.

Alles sei die Schuld der Massentierhaltung: Diese sei zwar tatsächlich grausam, aber davon distanziert sich selbst die Autorin, von der ich dachte, für sie seien Veggies die Wurzel allen Übels. Sie will jetzt das Welthungerproblem lösen, in dem sie Rinder idyllisch in Großbritanien grasen lässt. Dass die Massentierhaltung keine Erfindung sadistischer Kapitalisten ist, sondern die einzige Möglichkeit, den angeblichen Fleischbedarf der Welt zu decken - dass für Abermillionen an Biohöfen schlicht und ergreifend kein Platz auf der Welt ist (und die Biorinder natürlich auf dem selben Schlachthof landen für die grausamen Massentierhaltungsri nder) - nun, ich weiß nicht, ob dies der Autorin nicht bewusst ist oder sie es ignoriert.

Aber ich rekapituliere an dieser Stelle. Bisher ging es nur darum, dass Omnivoren nicht total böse seien, sondern nur ein bisschen böse - wann sagt mir die Autorin endlich, dass ich als Vegetarier Unheil anrichte? Achso, vielleicht jetzt: Es müssten gigantische Waldflächen abgeholzt werden, um Fake-Würchen und Fake-Steaks aus Soja zu produzieren. Einmal mehr siegt der Blutinstinkt der Autorin über die Realität: Der Mensch braucht keine ominösen Ersatzprodukte, um seine Zähne zu stimulieren (ist der Autorin eigentlich bewusst, dass Gorillas auch vegan leben?) - in ein paar Gläsern Sojamilch habe ich genug Proteine für den ganzen Tag zu mir genommen. Doch der Rechtfertigungswille der Ex-Vegetarierin erlaubt solche Fakten nicht. Unser Ernährungsstil sei schließlich ungesund, und als Beweis liefert sie einen toten Kindergärtner, welcher schlichtweg verhungert ist. Verhungern kann man auch als Omnivor. Pflanzliche Produkte sind weitaus mehr als "Licht" - und das weiß die Autorin eigentlich auch ganz genau. Dass die American Diet Organisation, der größte Ärzteverband seiner Art, schon längst zu der Erkenntnis gekommen ist, dass eine vegane Ernährung sehr wohl gesund sein kann - und das selbst in der Schwangerschaft - unterschlägt die Autorin wieder einmal.

Der Artikel endet mit dem Fazit, Veggies sollten sich für bessere Schlachthausbedigung en einsetzen. Sollten das nicht eher diejenigen erledigen, die diese Vorgänge finanzieren, sprich: Die Allesfresser? Dass Vegetarierbund, PETA und Co. sich dennoch ununterbrochen für bessere Haltungsbedingungen einsetzen, interessiert Frau Bäulerein aber auch nicht. Stattdessen verschwindet sie mit dem Apell "Ein bisschen Steak schadet nie" endgültig in den dunklen Irrwegen der Ex-Veggie-Austeigerf antasie.

Fazit: Statt eines solchen Artikels hätte ich in der NEON etwas anderes erwartet. Einen Bericht über den vegetarischen Donnerstag in Bremen beispielsweise. Jedenfalls etwas, was dem aufgeklärten Geist des Magazins eher entspricht. Ganz sicher jedenfalls kein solches Plädoyer, welches den Leser am Ende nur ein "Alles nicht so schlimm" in Erinnerung behalten lässt. Da kann ich ja gleich zur Union gehen.

15.05.2010 17:05 Uhr"

www.neon.de/kat/309892.html