March 07, 2008

(out of "DUMMY": FRAUEN, Summer 2006)

Extracts of an interview with Gender-Scientist Sigrid Schmitz:

Frau Schmitz, warum sterben Frauen nicht, wenn sie keine Kinder mehr bekommen können? Wenn sie also evolutionsbedingt ihre Funktion erfüllt haben? Hierfür gibt es mehrere Erklärungsmuster. Die Soziobiologie argumentiert mit dem sogenannten Großmutter-Phänomen: In einer Gemeinschaft, in der die Aufzucht des Nachwuchses so lange währe wie beim Menschen, sei es von Vorteil, wenn weibliche Mitglieder dabei längerfristig behilflich sind. 18 Jahre brauche kein Tier zur Aufzucht - da erziehen besser gleich mehrere Mütter mit, am besten auch die Großmütter. Aber wir leben eben nicht in einer Gesellschaft, die nur durch biologische Faktoren bestimmt ist. Menschen leben immer länger und das hat vielfältige Gründe: verbesserte Bedingungen, Krankheitsvorsorge, selbst die Ernährungsumstellung. Hier tritt Kultur in vielfältiger Weise mit Biologie zusammen. Aber egal ob wir kulturell oder naturwissenschaftlich interpretieren - es handelt sich immer um Theorien. Naturwissenschaft ist nie wahrer als Kulturwissenschaft.

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Wie stark sind Geschlechterrollen kulturell geprägt? In unserer Gesellschaft erleben Mädchen und Jungen immer noch unterschiedliche Erziehungsmuster. Im Laufe ihres Lebens zeigt sich dann, dass sie auf Grund dieser unterschiedlichen Erfahrungen auch ihre Körperstrukturen auf andere Art ausbilden. Besonders deutlich wird dies am Gehirn, dem Organ, das sich am stärksten auf unsere Erfahrungen einstellt. Auch wenn uns die Hrnforschung mit ihren schönen bunten Bildern verspricht, wir könnten die Ursache für unser Verhalten im Gehirn sehen, ist auch dies nicht so einfach. Nehmen wir die Analyse der Gehirnstruktur eines 35-jährigen Mannes und einer gleichaltrigen Frau: Das Abbild ihrer, vielleicht unterschiedlichen, Gehirnaktivität oder Struktur sagt nichts über die Ursache aus - also ob dieses biologische Phänomen wirklich vorgegeben ist oder die momentane Gehirnstruktur kulturell bedingt ist. Genau dieses Urteil maßt sich jedoch die Naturwissenschaft heute oft an, indem sie darin biologische Prädispositionen erkennt.

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Mädchen und junge Frauen zeigen ja oftmals bessere Schul- und Studienleistungen. Warum verhilft es ihnen trotzdem nicht zu einer wissenschaftlichen oder politischen Karriere? Da kommen sehr viele Aspekte zusammen. Wenn eine Frau ein Kind erwartet, muss sie erstmal aus dem akademischen Beruf aussteigen, denn es gibt immer noch nicht genügend Kinderbetreuungsplätze - es sei denn, die Frau hat zu ihren sieben Kindern noch genügend Geld und Hilfestellung, dies zusätzlich zu einer Karriere zu stemmen. Das es Frauen immer noch soviel schwerer haben, Karriere zu machen, bedeutet nicht, dass dort Männer sitzen, die sagen: Wir wollen keine Frauen. Da geht es um gewachsene Strukturen, auch um die so genannte 'same-sex-sympathy'. Es gab hierzu eine schöne schwedische Studie zur Benachteiligung von Frauen bei der Besetzung von Post-Doktoranden-Stellen Anfang der 90er Jahre. Demnach wurde der wissenschaftliche Faktor, also das Wo-habe-ich-wieviel-publiziert, anders gewichtet, je nachdem ob eine Frau oder ein Mann sich bewarb. Hinzu kommt der symbolische Aspekt. Bestimmte Studienfächer und Berufe sind nunmal männlich konnotiert, wie beispielsweise technische Ausbildungen.

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Im Tierreich sucht man ja auch nach festgeschriebenen Geschlechterrollen oft vergenbens. Im Tierreich findet sich alles, was man will: schwule Elefanten, lesbische Hyänen oder Geschlechterwechsel bei Amazonen-Kärpflingen, wenn sich beispielsweise das soziale Umfeld ändert. Die Natur bietet für diese Phänomene eine üppige Fülle. Dieses im Hinterkopf, ermöglicht dann auch einen anderen Blick auf die Menschen. Denn dann sehe ich nicht mehr den Mann, die Frau oder den Intersexuellen, sondern den Menschen.

Ist Heterosexualität also auch bei uns anerzogen? Die Heterosexualität als normale Form der Partnerschaft ist kulturell konstruiert. Es ist unbenommen, dass Mann und Frau und so Synergieeffekte frei werden, aber der gleiche Gewinn kann sich bei einem homosexuellen Paar einstellen. Was also, abgesehen von der Reproduktion, macht eine heterosexuelle Partnerschaft natürlicher als eine anders geartete?

Höchstens die Fortpflanzung. Wenn sich im Zuge der künstlichen Befruchtung in Kürze jeder mit jedem fortpflanzen kann, wird auch dieses letzte Argument heterosexueller Normalität obsolet.

Sigrid Schmitz, 44, ist Genderforscherin und Biologin am Institut für Informatik und Gesellschaft an der Universität Freiburg. Sie publizierte unter anderem: "Wie kommt das Geschlecht ins Gehirn? Über den Geschlechterdeterminismus in der Hirnforschung und Ansätze zu seiner Dekonstruktion."

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